Pressekonferenz: Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum – Statements

Ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen hat am 6. Dezember 2012 in Berlin seine Forderungen für die sofortige Einführung eines menschenwürdigen Existenzminimums vorgestellt. Hier die Statements der Teilnehmer auf der Pressekonferenz am 6. Dezember 2012:

1. Erwerbslose (Guido Grüner)

Es ist wohl ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass Erwerbslose gemeinsam mit Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Sozialverbänden, Bauern- und Umweltverbänden Forderungen für ein menschenwürdiges Existenzminimum formulieren.

Anlass ist die oft prekäre Lage von Millionen Betroffenen, die trotz wachsenden gesellschaftlichen Reichtums unter permanenten Geldsorgen und gesellschaftlicher Ausgrenzung leiden.

Ziel des gemeinsamen Projekts ist eine deutliche Erhöhung der Regelsätze sowie eine breite gesellschaftliche Debatte darüber anzustoßen, was erforderlich ist, um ein gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen.

Die Hoffnungen von Millionen Betroffenen auf Verbesserung ihrer finanziellen Situation nach dem Urteil des BverfG im Februar 2010 wurden durch die Erhöhung der Regelsätze um lächerliche 5 Euro enttäuscht. Mehrere Erwerbslosennetzwerke initiierten daraufhin dieses gemeinsame Projekt mit Gewerkschaften, Wohlfahrts- und Sozialverbänden sowie Bauern- und Umweltverbänden, um für eine wirkliche Erhöhung der Regelsätze einzutreten und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.

Dabei geht es uns um notwendige finanzielle Verbesserungen, die für ein menschenwürdiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe erforderlich sind, um die Achtung unserer Würde und die Einhaltung von Grundrechten. Es geht aber auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Hartz IV ist Teil des gesellschaftlichen Systems einer ungerechten Verteilung von Arbeit und Einkommen geworden – Synonym für die Angst vor Abstieg, Armut und Ausgrenzung, die dazu führt, jede Arbeit anzunehmen, sittenwidrige Löhne zu akzeptieren und sich mitten in einer reichen Gesellschaft ausbeuten und ausgrenzen zu lassen.

Dies ist auch der Grund, warum das Thema menschenwürdiges Existenzminimum ein originäres Thema der Gewerkschaften ist.

 

2. DGB (Annelie Buntenbach), für Gewerkschaften [2.500 Zeichen mit Leerzeichen, 3-4 Minuten Redezeit, Absatz in Klammern ist optional]

 

Die Regelsätze, das Hartz IV-System und die Arbeitswelt hängen enger zusammen, als viele glauben – oder glauben machen wollen. Hinter der aus unserer Sicht verfassungswidrigen Deckelung der Regelsätze steht auch ein beschäftigungspolitisches Motiv. Durch niedrige Regelsätze in Verbindung mit einer scharfen Zumutbarkeitsregelung von Arbeitsangeboten soll der Druck auf Arbeitslose hoch bleiben, auch niedrigst bezahlte Jobs anzunehmen. In der mit den Hartz-Reformen deregulierten „schönen neuen Arbeitswelt“ von Leiharbeit, Mini- und Ein-Euro-Jobs, Scheinselbständigkeit und Werkverträgen sollen Arbeitskräfte zur Aufnahme solcher Jobs gebracht werden.

 

Auch wenn die Hartz IV-Empfängerzahlen mittlerweile leicht rückläufig sind, ist die Angst vor einem sozialen Abstieg in den Belegschaften allgegenwärtig. Entsprechend groß ist die Bereitschaft, auch zu schlechten Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Der „Erfolg“ des Drucks auf Arbeitnehmer wie Arbeitslose und der Niedriglohnstrategie zeigt sich in der Zunahme von prekärer Beschäftigung. Die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung hingegen liegt immer noch unter dem Stand von vor zehn Jahren.

 

[Hartz IV-Empfänger und Arbeitnehmer sind auch deshalb eng verbunden, weil über 1,3 Millionen  als sogenannte Aufstocker erwerbstätig sind. Deren Zahl nimmt entgegen der Gesamtzahl der Hartz IV-Empfänger auch nicht ab. Rund 550.000 von den Aufstockern arbeiten sogar sozialversicherungspflichtig.]

 

Außerdem gilt: Ein höheres Existenzminimum sichert sowohl Grundsicherungsberechtigte als auch Erwerbstätige gleichermaßen nach unten ab. Denn die Höhe der Regelsätze bestimmt indirekt über die steuerlichen Grundfreibeträge. Angemessene Regelsätze sichern das Existenzminimum aller Steuerpflichtigen. Schon die minimale Erhöhung der Regelsätze zum 1. Januar 2013 bewirkt eine Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags um 348 Euro. Deshalb sind existenzsichernde Regelsätze und anständige Löhne zwei Seiten derselben Medaille. Wir brauchen beides.

 

Das heißt, bei den Löhnen brauchen wir flächendeckende Mindestlöhne als unterste Auffanglinie. Höhere Regelsätze und eine Re-Regulierung des Arbeitsmarktes müssen den Arbeitsmarkt wieder in Ordnung bringen und die Erpressbarkeit von Arbeitnehmern wie Arbeitslosen abmildern. Insofern ist unser Engagement in Sachen Existenzminimum ein Engagement für die gesamte Gesellschaft. Dies ist ein wichtiger Grund, warum wir die verstärkte Kooperation mit anderen Akteuren – wie Erwerbslosenprojekten und Wohlfahrts- und Sozialverbänden – gesucht haben.

 

3. Diakonie (Maria Loheide) (2.429 Zeichen mit Leerzeichen, 3 -4 Minuten)

Die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz ist ein grundlegendes Verfassungsrecht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 nachdrücklich bestätigt. Die Menschenwürde ist uneingeschränkt zu gewährleisten und das Sozialstaatsprinzip entsprechend umzusetzen. Soziale Grundrechte gelten ohne Abstriche und für alle hier lebenden Menschen.

Wir beobachten mit Sorge die zunehmende „Vertafelung der Gesellschaft“. Privates Engagement darf grundlegende Rechte nicht ersetzen. Tafeln können in absoluten Notsituationen helfen. Sie sind aber nicht das Mittel zur Lösung sozialer Probleme.

Die Bundesregierung hat die Neuberechnung der Regelsätze nicht, wie vom BVerfG verlangt, hinreichend „transparent“, „realitäts- und sachgerecht“ vorgenommen. Sie wurden nach Haushaltsvorgaben gedeckelt.

Bei Kindern und Jugendlichen wurden Bedarfe einfach ins Bildungs- und Teilhabepaket ausgelagert und der Regelsatz um bis zu 37 Euro gekürzt. Weitere willkürliche Abzüge wurden z.B. für Zimmerpflanzen, Haustiere, nicht-verschreibungsfähige Arzneimittel, Zusatzkosten im Krankenhaus, Babysitter oder chemische Reinigung vorgenommen.

Unregelmäßige Bedarfe wie der Ersatz von defekter Waschmaschine oder Kühlschrank sind weder in der Pauschale noch als Einzelleistung berücksichtigt. Besondere Situationen wie ein teurer ÖPNV in Großstädten, weite Wege im ländlichen Raum, steigende Energiekosten oder umfassende gesundheitliche Bedarfe werden ignoriert.

Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist mit dem Recht auf eine menschenwürdige Existenzsicherung unvereinbar. Asylsuchende und Geduldete leben mit Sachleistungen, Sammellagern und Minimalmedizin. Sie müssen den uneingeschränkten Zugang zu den Grundsicherungsleistungen und zu regulärem Krankenversicherungsschutz erhalten.

Die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe sind auch daraufhin zu überprüfen, ob sie realitätsgerecht sind oder nur einen Mangel abbilden.

Als Wohlfahrtsverband erleben wir täglich, dass Armut und gesellschaftliche Ausgrenzung weit über Erwerbslosigkeit und den unmittelbaren Bezug von Hartz IV hinausgehen. Armut und Ausgrenzung betreffen immer mehr ältere Menschen. Darum wird die Zusammenarbeit von Wohlfahrtsverbänden wie Diakonie und Arbeiterwohlfahrt einerseits und Sozialverbänden wie VdK und SozVD in der Bekämpfung von Altersarmut immer wichtiger.

 

 

4. SoVD (Adolf Bauer), für Sozialverbände

Die Regelsätze sind nicht nur für Hartz IV-Berechtigte von entscheidender Bedeutung, sondern für eine stetig wachsende Zahl von BezieherInnen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Die Regelsätze reichen für die betroffenen Menschen bei weitem nicht aus, weil aus unserer Sicht die speziellen Bedarfe der Betroffenen statistisch nicht erfasst werden. Rezeptfreie Arzneimittel, Fahrtkosten zum Arzt, Brillen – diese grundlegend notwendigen Gesundheitsausgaben werden z.B. von den gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr übernommen. Verschärft wird diese Situation durch die steigenden Energiepreise, die in den Regelsätzen nicht berücksichtigt werden.

Behinderte volljährige Menschen ab dem 25. Lebensjahr bekommen nur einen anteiligen Betrag von 80 Prozent des vollen Hartz IV-Regelbedarfes, wenn sie mit anderen Erwachsenen in einem gemeinsamen Haushalt leben.

Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt trotz der vorgenommenen Kosmetik aus unserer Sicht sehr deutlich, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet hat. All diese Gründe machen es aus Sicht der Sozialverbände dringend erforderlich, die augenscheinlichen Fehlentwicklungen bei den Regelsätzen zu korrigieren. Notwendig ist eine Revision, die steigende Preise gerechter berücksichtigt. Dazu gehören auch die Kostenentwicklung bei der Ernährung sowie der Zusammenhang von Niedrigeinkommen und Nahrungsmittelproduktion.

 

 

5. Umweltverband BUND (Reinhild Benning), für Umwelt- und Bauernverbände

5,40 Euro sind für das tägliche Essen und Trinken eines Erwachsenen im Hartz-IV-Regelsatz vorgesehen. Für ein 13-jähriges Kind sind es nur 3,55 Euro. Schätzungsweise rund 25 Millionen Menschen mit geringen Einkommen allein in Deutschland bleibt für die Ernährung nur der Weg zum Discounter. Diese Nachfrage verstärkt die enorme Marktmacht der Discounter und fördert damit unmenschliche Arbeitsbedingungen in der gesamten Herstellungs-, Verarbeitungs- und Handelskette, illegale Beschäftigung und die Behinderung von Gewerkschaften auf der ganzen Welt.

Verbraucher müssen also für ihre Ernährung Preise zahlen können, die den Bauern hier den nachhaltigen Anbau von Nahrung ermöglichen. Damit sich Erwachsene ausgewogen ernähren können, sind rund 7,74 Euro pro Tag notwendig. Mindestens 80 Euro mehr für Ernährung im Hartz-IV-Regelsatz würde für viele Millionen Menschen ein wenig mehr Sicherheit, weniger Ausgrenzung und mehr gesellschaftliche Teilhabe bedeuten und für die Bauern und die in der Landwirtschaft Beschäftigten ein faires Einkommen und existenzsichernde Löhne.

Die Forderung nach gentechnikfreien, gesunden, regionalen und fair produzierten Lebensmitteln gehört darum mit zur sozialen Frage. Eine menschenwürdige Mindestsicherung muss auch Qualität und Produktionsbedingungen unserer Nahrungsmittel berücksichtigen.

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